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Eine Polizei demokratisiert sich selbst

Diskussionskommando Berlin

Externe Vorbereitungen

Als unterstützende und begleitende Maßnahmen wurde zahlreiche Lehrgänge und Seminare angeboten. Gegenstand waren natürlich gesellschaftliche und politische Themen. Ein besonders hilfreiches Seminar war ein Rethorik-Lehrgang, der von der Gewerkschaft der Polizei durchgeführt wurde. Es war danach leichter, mit ideologisch festgelegten Diskussionsteilnehmern zu reden. Unser Ziel war ja nicht in erster Linie die politische Auseinandersetzung, sondern die Ver- meidung von Gewalt. Dazu war es notwendig, die umstehenden Zuhörer ebenfalls zu erreichen und auch zu überzeugen. Die Anwen- dung rethorischer Finessen ist aber dafür zu wenig, wenn auch nötig. Die aufgebrachte und agressive Menge mußte auch spüren, daß wir es ernst meinten und von dem, was wir sagten, aufrichtig überzeugt waren. Dazu gehörte auch, dass wir uns ohne Schlagstock und Pistole unter die Demonstranten mischten. Wir konnten so sichtbar zeigen, dass wir wirklich "nur reden" wollten und keine Falle dahinter steckte. Von besonderer Bedeutung für das Verhältnis Polizei und Studenten war eine Idee des Psychologen Prof. Siegfried Schubenz. Mitglieder des Diskussionskommandos sollten in der Psychologischen Fakultät der Freien Universität Berlin an einem Seminar teilnehmen. Bei der eher feindseligen Haltung der Studentenschaft war das eine wahn- witzige Idee. Daher gab es auch warnende Stimmen, die dieses Vorhaben für gefährlich hielten. Anfänglich war es das wohl auch, aber nur theoretisch. Wir sind nie angepöbelt oder gar bedroht worden. Vorherrschend war verhaltene Neugier oder Gleichgültigkeit. Studenten, die sich dazusetzten, waren über unser Engagement er- staunt und nahmen die für sie neue Erkenntnis mit, dass Polizisten nicht zwangsläufig ungebildete Idioten sind. Genau darin lag aber die Bedeutung dieser Veranstaltung. Nehmen wir alle, die uns dort erlebt und kennengelernt haben als Multiplikatoren, ist der langfristige Wert nicht hoch genug einzuschätzen. Der Wille zu gegenseitigem Verständ

68er Revolte

nis wurde wieder geweckt, statt bloßer Konfrontation. Heute eine Banalität, damals ein ungeheurer Vorgang. Beide Seiten hatten schon negative Begegnungen mit dem jeweils Anderen. Nun sprachen wir auf Augenhöhe ohne Groll und ohne Agres- sionen miteinander. Studenten und Polizisten machten auch hier eine Entwicklung durch, die auch den Umgang bei Demonstrationen und Ver- anstaltungen ziviler gestalten konnte. Die Beamten des Dis- kussionskommandos wurden durch diese Vorbereitung auch in eine Sonderrolle gedrängt. Den Studenten gegenüber verteidigten wir die Einstellung der Polizei und im Privatbe- reich war es umgekehrt. Die feindselige Haltung der Bevöl- kerung war teilweise so extrem, dass man sich dagegen stellen mußte. Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen, egal von welcher Seite sie kommt. Mit dieser schizophrenen Lage war nicht leicht umzugehen. So kam es später dann auch zu dem Vorwurf eines Vorgesetzten, ich wolle die Polizei kommunis- tisch unterwandern. Dümmer gings nimmer, aber es zeigt doch sehr deutlich die Kluft im Denken und die vorherrschen- de Einstellung der damaligen Polizei. Beliebte Seminare außerhalb Berlins waren das Osteuropa- Seminar in Köln und Veranstaltungen der Evangelischen Bildungsakademie in Loccum.